CREDITS
Auftraggeber: Burda GmbH, MünchenAgentur: GGK Düsseldorf
Kreativdirektor: Michael Schirner
Texter: Joachim Beutler, Michael Schirner
Artdirector: Helmut Rottke
Grafiker: Andrea Haller, Beate Lorber
Nachfolgerin von Schirner Zang Institute of Art and Media ist Schirner Zang: www.schirnerzang.com
Website von Michael Schirner mit Archiv für angewandte und freie Kunst: www.michaelschirner.de
Bündnis 90 / Die Grünen beauftragten uns mit der Entwicklung und Durchführung der Kampagnen für den Bundeswahlkampf 1998, die Landtagswahlkämpfe in Bayern, Hessen und den Europa-Wahlkampf. Ziel der Kampagnen war der Regierungswechsel.
Die Sonnenblume war immer das Zeichen für die Ökopartei. Doch um regierungsfähig zu sein, muss die Partei für alle politischen und gesellschaftlichen Themenfelder kompetent sein.
Die neuen Grünen sollen mit einem neuen, frischen Zeichen antreten.
Wir machten ein grünes, lustiges Ü, das alle anlacht, zum neuen Gesicht der Grünen. Das Ü wird auf allen Werbemitteln zum Symbol und Sympathieträger von Bündnis 90 / Die Grünen. Das Ü lässt Raum für freche, witzige, ironische Aussagen. Die reduzierte grafische Form des grünen Ü auf farbigem Grund sorgt für hohe Aufmerksamkeit.
Mit der Ü-Kampagne (Etat 4 Mio. DM) haben sich die Grünen gegen die 100 Millionen-Kampagnen von CDU und SPD durchgesetzt. Das Ü wurde zum Verkehrszeichen für den Regierungswechsel. Und die Grünen kamen mit an die Regierung.
„Die Rente ist sicher“ war der Spruch von Norbert Blüm. Folgerichtig forderte das grüne Ü: „Schickt Blüm in Rente“.
Volker Rühe war Verteidigungsminister. Folgerichtig forderte das grüne Ü: „Wegtreten, Rühe.“
Wehrpflichtigen versprach das grüne Ü: „Wähl Grün, und Du musst nicht zum Bund.“
Zum 18jährigen Geburtstag der Grünen forderte das grüne Ü: „Trau keinem über 18.“
Vom Bayerischen Staatsminister Günther Beckstein, bekannt für seine Abschiebepolitik, wusste das grüne Ü: „Beckstein würde auch Jesus abschieben.“
Auf das Wahlplakat der CDU mit einem badenden Elefanten und dem Spruch „Keep Kohl!“ konterten wir mit dem Plakat: „Der Dicke geht baden.“
Wir sollten klar machen, welchen Sinn Entwicklungshilfe hat.
Die Vorurteile in der Bevölkerung gegen Entwicklungsländer und Entwicklungshilfe sind tief verwurzelt. Wie können wir Vorurteil mit Werbung abbauen und Einstellungen zur Entwicklungshilfe ändern?
Zuerst einmal machen wir den Leser klar, was für Vorurteile es gibt. Wir zeigen drastische Bilder aus Entwicklungsländern und sprechen mit zynischen Überschriften die härtesten Vorurteile an. Im laufenden Text halten wir dagegen und stellen mit sachlichen Argumenten den Nutzen der Entwicklungshilfe für unser Land heraus.
Die Ministerin Marie Schlei ermunterte uns, die provokantesten Bilde und Texte zu veröffentlichen.
Die Leser der Anzeigen verstanden, dass das Ministerium hier nicht für Vorurteile warb, sondern dagegen. Mit dem Erfolg: Tausende bestellten die Infobroschüren, die in den Anzeigen angeboten wurden. Die Kampagne war so erfolgreich, dass sie einen Ministerwechsel überlebte. Jahre später wurde die Kampagnenidee der drastischen Abbildungen von Benetton aufgegriffen.
Alle Fotos sind Archivbilder von Presseagenturen. Bis auf die Abbildung der Potentaten im Fond ihres Wagens. Das Klischeebild gab es nicht, wir mussten es im Studio inszenieren.
„Wieso beklagen sich die Inder über Nahrungsmangel, wo doch ihre Straßen voller Ochsen und Kühe sind?“ Diese Anzeige hat zu einer Anfrage der indischen Regierung im Bundestag geführt.
„Wozu brauchen die ein Dach über dem Kopf, wo doch das ganze Jahr die Sonne scheint?“
Bei den Überschriften haben wir uns im Zynismus selbst übertroffen.
Man liest: „Sollen wir denen vielleicht Geld dafür geben, dass sie sich gegenseitig umbringen?“ und denkt: „Das darf doch nicht wahr sein?“
„Finanzieren wir den Ölscheichs mit unserem Entwicklungsgeld ihre Straßenkreuzer?“
Soweit kommt’s noch.
„Darf es vielleicht noch ein Kühlschrank oder Geschirrspüler von unserem Entwicklungsgeld sein?“ Ali, Du schaffst das.
Wir sollten den Zusammenschluss der Bayerischen Vereinsbank mit der Vereins- und Westbank bekanntmachen.
Für eine Bank kann man gut werben. Aber nicht so gut für zwei.
Weil jeder fragt: Welche nun?
Wir werben nicht für zwei Banken.
Wir lassen eine Bank die andere empfehlen. Und umgekehrt.
Dann weiß jeder, dass beide gleich gut sind. Ganz gleich, zu welcher man geht.
Mit der Unternehmenskampagne wurden beide Banken zum viergrößten Geldinstitut in Deutschland.
Wir sollten Werbung für die gesunden Schuhe von bama machen.
Vorteil: Sie sind unglaublich bequem.
Nachteil: Sie sehen aus wie Gesundheitsschuhe –
also ziemlich hässlich.
Wir lassen die hässlichen Schuhe einfach weg und zeigen nackte Leute.
Wir schreiben drunter, wie bequem bama-Schuhe sind: „bama … wie barfuß“.
Im Kino machen wir Filmkunst: Der Ballettchef William Forsythe hat mit den Nackten einen wunderbaren Ballettfilm gemacht. Für die unsichtbaren Schuhe von bama.
Die bama-wie-barfuß-Werbung löste einen Modetrend aus: Mit Schuhen in die Hand barfuß gehen.
Als Studierender an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg gründete Michael Schirner 1976 zusammen mit Reinhold Scheer und Hajo Reichelt die Künstlergruppe „Die B-Männer“ (B wie ihre Professoren Max Bill, Max Bense, Kilian Breier und Bazon Brock). Die drei fertigten 1:1 Reproduktionen von sich und ihren Freunden an und ließen diese als Vertreter ihrer selbst in Hamburg leben und arbeiten: B-Männer fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, besuchten Vorlesungen und Strip-Lokale, schliefen mit A-Frauen, traten auf in Fernsehsendungen des WDR und in Bazon Brocks „Die Wegwerfbewegung“, der Performance in der Stadthalle Hannover.
1968, als Schirner die Hochschule nach dem Skandal um sein Kostümfest ohne Kostüme verließ, schickte er seine B-Männer zu Bewerbungen in Werbeagenturen, während er Andy Warhol in New York als Ghostwriter bei dessen Philosophie „From A to B and Back Again“ half.
nach oben„Art meets Ads“: Kunst trifft Werbung in der Ausstellung „Avantgarde & Kampagne“ der Kunsthalle Düsseldorf im September 1992. Das Buch zur Ausstellung dokumentiert und interpretiert das Experiment: Die Vorstellung neuester internationaler Kunst und Werbekampagnen als gleichwertige ästhetische Äußerungen. Mit „Art meets Ads“ zeigen der Leiter des Museums Jürgen Harten und der Werbemann Michael Schirner, dass Werbung nur Kunst ist, und Kunst nur Werbung, also beides nichts Besonderes, aber das Höchste und Erhabenste. Die Fotografien von Franklin Berger dokumentieren einen Gang durch die Räume der Kunsthalle, in der sich Kunst und Werbung auf der Ebene von Ästhetik und Kommunikation treffen – mit ihren Unterschieden, Übereinstimmungen und Bezügen.
Von links nach rechts: Maria Eichhorn, Stehpult, Andreas Slominski, (ohne Titel), 3 Hühnereier; Barbara Kruger Siebdruck „Einfühlungsvermögen kann die Welt verändern“; Thomas Grünfeld, ohne Titel (Ratten), Dispersion, Tierpräparate; Oliviero Toscani, Benetton Group, „Newborn Baby“, „Murder“, „Soldier“; Heiner Blum, Komposition in Silber und Schwarz Nr.1, 1990, Spiegel, Siebdruck …
Von links nach rechts: Oliviero Toscani, Benetton Group, „Murder“, „Soldier“; Heiner Blum, Komposition in Silber und Schwarz Nr.1, 1990, Spiegel, Siebdruck; Jeff Koons, Made in Heaven / Starring: Jeff Koons & Cicciolina, Papier auf Leinwand; Louise Lawler, Pop Art Tryptichon / Collage auf Karton; TBWA Werbeagentur, Frankfurt/London, Marlboro „What is red?“, Philip Morris GmbH, München
Von links nach rechts: Ken Lum, „Melly Shum Hates Her Job“, Offsetdruck auf Papier; Ken Lum, ohne Titel (Kissen), Stoff, Füllmaterial; McCann-Ericson Werbeagentur, Frankfurt, Camel „Den Rest kennen Sie ja“, R.J. Reynolds Tobacco GmbH, Köln;john Miller, Woodland, Mixed Media; Wess, Whitten, Carrol, Stagliono, New York, „The creators of Apriori …“, Apriori, New York …
Von links nach rechts: Ashley Bickerton, Seascape: Floating Costume to Drift for Eternety II, Mixed Media; AEBI/BBDO, Zürich, Giulietta Masima, Vitra GmbH, Weil am Rhein; Gerhard Richter, Spiegel, Kristallglasspiegel …
Von links nach rechts: Bruce Weber, Calvin Klein, New York, „Obsession form en“, Calvin Klein Cosmetics Company, New York; Sylvie Fleury, Shopping Bags, Installation; AEBI/BBDO, Zürich, „Dizzy Gillespie“, Vitra GmbH, Weil am Rhein;
Von links nach rechts: Bartle, Bogle, Hegarty Ltd., London, Levis Jeans 501, „I get around …“ / „Because they fit …“ / „I like them best …“, Levi Strauss (U.K.) Ltd., Northhampton
Der Künstler Thomas Schütte hat aus der Werbung für die Ausstellung – dem Katalogtitel ART meets ADS – die wunderbare Collage SAD RAT gemacht.
Wir sollten die Leistungen der Öffentlich-Rechtlichen und die Qualität ihrer Programme herausstellen.
Das ARD und ZDF leiden unter dem Alte-Leute-Image. Wie kriegt man das weg?
Wir lassen die Medienexperten von heute über Sendungen reden: Die 8 – 11jährigen, eben die Generation, die mit dem Fernsehen groß geworden ist. Der Witz dieser Kampagne: Die Kinder reden nichts Kindliches, sondern reflektieren über die Medien und ihre Programme.
Die Alten verstehen die Welt nicht mehr und schalten ab. Die Jungen verstehen den Spaß und schalten ein. Das Alte-Leute-Image ist weg. Für die Laufzeit der Kampagne. Danach ist wieder alles beim Alten.
Die Leser bewegen, mit dem Kreditversicherer Kontakt aufzunehmen.
Wie vermeidet man die Klischees der gängigen Versicherungswerbung, die Sicherheit, Gediegenheit und Seriosität suggerieren?
Wir zeigen, welche Folgen es für Leib und Leben eines Unternehmers haben kann, wenn er keine Kreditversicherung abgeschlossen hat. Die Abbildungen von Tod und Verderben ironisieren wir mit Überschriften im Stil schwarzen englischen Humors.
Mit einem Mini-Werbebudget lösten die Anzeigen eine Flut von Anfragen interessierter Unternehmen aus. Und Diskussionen in der Werbebranche.
Hans Ulrich Reck in seinem Buch „Index Kreativität“: „Michael Schirner auf einer Kooperation aus Freundschaft beruhender Entwurf, sowie dessen sich in verschiedene Realisierungen verzweigende Gestaltung für die Ausstellung „Imitationen. Nachahmung und Modell. Von der Lust am Falschen“ …
… umfasste ein Plakat und Aufkleber unterschiedlicher Größe, die mittels eines „wilden Plakatierens“ die gesamte gegenständlich gewordene Mit- und Umwelt als falsch zu denunzieren in der Lage waren, also Irritationen erzeugten, die normalerweise der Kunst oder einer bestimmten Vorstellung künstlerischer Interventionen vorbehalten bleiben, nun aber als strategische Leistungen der Alltagsästhetik erscheinen.
Eben dies reiht den Entwurf ein in Schirners seit den 1970er Jahren mustergültig entwickelte und meisterlich erprobte Umcodierung künstlerischer Konzepte in massenkulturelle Strategien, Positionen und Expositionen visueller Kommunikation und in eine medial entfaltete Vermittlung als Gelenk ästhetischer Produktion.“